Von Stadtarchivar Hans Peter Brandt
Fragt man in Idar-Oberstein ein Kind woher der Spießbraten kommt, so erhält man ohne Zögern die Antwort, daß er von den Idar-Obersteinern Steinsuchern von Brasilien hierher gebracht worden sei. Diese "landläufige" Meinung ist hier so selbstversändlich, daß man gar nicht mehr darüber nachdenkt. Schlägt man dagegen das einschlägige Volkskundebuch unserer Heimat: Dr. G. Walter Dieners "Hunsrücker Volkskunde" (2. Auflage, Binn, 1962, Seite 192) auf, so stellt man überrascht fest, daß hier erklärt wird: "Diese Ansicht läßt sich nicht halten".
Der Autorstützt sich dabei auf Ausführungen des Idar-Obersteiner Heimatkundlers Klaus Eberhard Wild, welche wörtlich wiedergegeben werden. Wild bestreitet darin die brasilianische Herkunft des Spießbratens und vertritt die Auffassung, das der Idar-Obersteiner Spießbraten möglicherweise aus den Bergbau-, Köhler- und Wildererepochen des Hoch- und Idarwaldes stammen und sich bei den Idarbänner Schleifern noch bis in unsere Tage erhalten haben. K. E. Wilds Argumentationscheint jedoch wenig stichhaltig. So haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt, dafür, das Köhler, Bergleute und Wilderer überhaupt diese Art der Fleischzubereitung kannten. Selbstverständlich brachte man, als man den Spießbraten hier einführte, auch kein Kalyptusholz aus Brasilien mit, so das der Hinweis darauf, daß es in Brasilien kein Buchenholz gibt, diese These ebenfalls nicht erhärten kann.Schließlich ist die Art der Fleischzubereitung in unserern Breiten eine andere, und man verwendet und verwandt in Brasilien vielfach gesalzenes und an der Luft getrocknetes Fleisch,was dem brasilianischen Spießbraten, der dort Churasco genannt wird, einen anderen Geschmack gibt. Das sind aber alles tatsachen, die nich gegen die brasilianische Herkunft des Idar-Obersteiner Spießbraten sprechen. Selbstverständlich suchte man diese nicht genau zu kopieren, sondern lediglich unter den örtlichen Verhältnisen und Gepflogenheiten herzurichten.
Nach mündlicher Überlieferung soll der Idarer Handelsmann Philip Karl Becker (aus der Familie Stein-Becker) im Jahre 1861 auf der sogenannten "Platt" in Dietzen den ersten Spießbraten in Idar gemacht haben.Tatsächlich war Becker zuvor mehrfach in Südamerika und nachweislich 1851 in Uruguay, wo er im genannten Jahr bereits eine Firma (Schuch und Becker) gründete.Leider sind nähere Einzelheiten darüber nicht bekannt. Der Spießbraten hat wahrschein in Südbrasilien, eben dort wo auch die ersten Rohsteine für die Idar-Obersteiner Industrie herkamen, seinen Ursprung. Heute ist er ganzen Land, auch in Nordbrasilien bekannt.
Man verwendet für das Feuer wie bei uns harzfreies Holz, gelegentlich auch Holzkohle. Der Geschmack ist etwas anders, doch sind ja innerhalb des Stadtgebietes von Idar-Oberstein die "Geschmäcker" verschieden. So hieß es einmal in einer Idarer Proppenzeiltung, das bei Idar ein seltsames Völkchen lebe, das den Spießbraten stets in einem halben Pfund Kordel zu verspeisen pflege. Damit spielte man auf den Obersteiner Rollbraten an, der ja auch eine gewisse Spießbratenvariante darstellt, so wie auch in Brasilien der Spießbraten auf mehrere Arten zubereitet wird, der mit dem Idarer eine gemeinsame Wurzel hat.
Eines scheint jedoch sicher zu sein: das Volkskundebuch hat nicht recht, der Spießbraten kam aus Brasilien nach Idar-Oberstein.Bedauerlich ist nur, daß man so wenig über seine Einführung weiß. Dem Mann, der diese Erfindung hierher brachte und somit für das leibliche und seelische Wohlbefinden seiner Mitbürger und deren Nachkommen große Verdienste erworben hat, gehört ein Denkmal - vielleicht auf dem neuen Festplatz - gesetzt.
Quelle: Idar-Obersteiner Nachrichten vom 23.06.1967